Ich stehe inmitten einer Traube Menschen. Menschen, die ich bis auf eine einzige Ausnahme nicht kenne, oder sie nur einmal auf irgendwelchen Social Media Kanälen gesehen habe. Die Musik ist laut und bringt mein Trommelfell zum Beben. Das Glas in meiner Hand ist kalt und leer und ich wünschte, ich könnte es gegen ein volles austauschen. Viele kennen sich untereinander und ich fühle mich ein wenig verloren auf der Shoperöffnung, zu der mich meine Freundin Kathi mitgenommen hat. Und dann fange ich an, mich mit den Menschen zu unterhalten. Ich lerne Manuel kennen. Er fragt mich: „Und, bist du auch im Instagram-Business?“
Meine ehrliche Antwort lautet: „Nein, nicht mehr. Ich habe mich von Instagram distanziert.“
Es wirkt alles sehr glamourös auf Instagram, das gebe ich zu. Und hin und wieder beschleicht mich ein leises Gefühl der Sehnsucht, wenn ich schön bearbeitete Bilder sehe. Ich denke mir oftmals, dass ich das auch gerne wieder machen würde, schöne Fotos machen, sie bearbeiten und andere damit begeistern. Und gleichzeitig hat diese Erinnerung einen sehr schalen Beigeschmack für mich.
Ich war an diesem Punkt. Ich habe früh mit Instagram angefangen, in Zeiten, als es noch eine chronologische Abfolge der Posts und keine gedrosselte Reichweite gab. Die Bedingungen waren optimal. Meine ersten Follower waren hart erkämpft, aber ab einem gewissen Punkt schien es sich zu verselbständigen. Ich postete Bilder, richtete mein Essen schön an und dachte mir möglichst kreative Bildunterschriften aus, wobei ich darauf achtete, möglichst viel von mir preiszugeben, um möglichst spannend, unterhaltsam oder einfach nur interessant zu sein.
Mein Leben drehte sich zu diesem Zeitpunkt um Likes, Follower und Kommentare. Wenn ein neues Bild nicht sofort durch die Decke ging, fühlte ich mich schlecht und unzureichend. Ich versuchte, zu analysieren, woran die Misserfolge lagen und kam doch auf keinen grünen Zweig. Meine Vormittage füllte ich damit, mich durch die App zu scrollen, andere Bilder zu liken, neue Accounts zu entdecken und virtuelles Networking zu betreiben in der Hoffnung, meine Bemühungen mögen zu mir zurückkommen. Und das taten sie auch. Ich baute mir ein Netzwerk auf, große Accounts begannen mir zu folgen und ich hatte stets zahlreiche Herzchen und mehr oder weniger nette Worte unter meinen Bildern. An den Nachmittagen ging ich auf die Suche nach neuem Content. Vor dem Schlafengehen scrollte ich nochmal durch Instagram, vielleicht gab es ja Neuigkeiten.
Mag sein, dass ich diese Bemühungen in den Account steckte, weil gerade Sommer war und ich mich langweilte. Freunde waren im Urlaub oder hatten aus anderen Gründen keine Zeit. Die Uni pausierte bis auf die Prüfungswochen, die ich verdrängte. Ich brauchte eine Beschäftigung und Instagram gab sie mir. Es war wie eine Droge, wenn ein Bild über 100 Likes bekam, und es dann über 200 wurden. Und ich wollte mehr.
Ich vergaß, dass ich eigentlich ein Hobby hatte, das ich liebte. Stattdessen rannte ich teilweise zweimal am Tag ins Fitnessstudio, weil ich etwas haben wollte, das ich posten konnte. Und natürlich, weil ich mit meinem Körper unzufrieden war, schließlich war ich den ganzen Tag mit perfekt aussehenden Frauen konfrontiert und wollte genauso sein. Ich verfiel auch ernährungstechnisch in eine Art Gesundheitswahn. Ich fing an, Kohlenhydrate zu verteufeln, trackte meine Kalorien bis auf das letzte Bisschen und ging eine Extra-Runde joggen, wenn ich mein tägliches Ziel von 1200 Kalorien überschritten hatte. Dinge wie vegane low-carb Muffins, über die ich mich heute angeekelt lustig mache, standen damals so oft auf meinem Speiseplan wie heute ein Glas Wein – und ja, das ist oft.
Dass ich ein Problem hatte, war mir sehr lang nicht bewusst. Nicht mal, als sich meine Leistungen in der Uni rapide verschlechterten, ich den ganzen Tag nur noch am Handy hing und sich meine Freunde von mir distanzierten. Der Moment, an dem ich einsah, dass ich etwas verändern musste, war ein Streit mit meiner besten Freundin. Wir stritten uns tatsächlich über mein Instagram-Verhalten und sie warf mir Dinge an den Kopf, die mich wirklich erschütterten. Sie sagte mir, dass man sich mit mir nicht mehr unterhalten könne, weil man Angst haben musste, dass Teile dieser Unterhaltungen auf Instagram landen. Dass ich mich so zum Negativen verändert hätte, seit ich Instagram zu meinem halben Lebensinhalt gemacht hatte.
Ich fing an, mein Verhalten zu überdenken und nach einer kurzen Trotzphase meinerseits musste ich ihr Recht geben. Ja, ich hatte mich sehr zum Negativen verändert. Meine Aufmerksamkeitsspanne war so kurz wie noch nie, ich schrieb nicht mehr und war eine miserable Freundin. Doch was mich dann endgültig wieder auf den Boden der Tatsachen gebracht hat, war meine Blinddarmentzündung zu Weihnachten 2015 – ich habe darüber geflucht und geweint, dass ich die Feiertage im Krankenhaus verbringen musste, aber im Endeffekt war es ein Geschenk, denn ich musste dadurch gezwungenermaßen eine längere Sportpause einlegen. Und ich hatte viel Zeit zum Nachdenken. Darüber, was ich wirklich will. Und ich kam zu dem Schluss: Ich will glücklich sein. Ich will keine Verabredungen zum Essen absagen, weil das auf Instagram kein gutes Bild macht und meiner Figur schaden könnte. Ich will meine echten Freunde nicht gegen Instagram-Follower tauschen. Und ich will mich wieder den Dingen widmen, die mir wirklich wichtig sind.
Diese Entscheidung habe ich nie bereut. Zwar wurde ich zunächst von Entzugserscheinungen geplagt, aber schon nach kurzer Zeit merkte ich, wie eine große Last von meinen Schultern genommen wurde. Ich fing an, nur mehr dann etwas zu posten, wenn mir gerade danach war, und gab nicht mehr so viel auf die Zahl der Likes und Kommentare. Meine Noten im Studium verbesserten sich wieder, und das Verhältnis zu meiner besten Freundin ist seitdem so entspannt wie nie zuvor. Hätte ich weitergemacht, hätte ich nun vielleicht eine fünfstellige Followerzahl und könnte mein Geld mit Instagram verdienen. Ja, das wäre sicher cool, aber zu welchem Preis?
Als ich auf das Event letztens mitgegangen bin, hatte ich meine Zweifel, ob ich mich dort wohlfühlen würde. Schließlich hatte ich mich bewusst dagegen entschieden, auf Instagram Karriere zu machen, ganz im Gegensatz zu vielen anderen, die bei diesem Event anwesend waren. Doch Manuel sagte nur: „Finde ich gut. Das echte Leben sollte immer Priorität haben und ein Studium ist wichtiger.“
Wir prosteten uns zu und ich fühlte mich plötzlich nicht mehr so fehl am Platz. Denn es ist total in Ordnung, gegen den Strom zu schwimmen. Solange man sich dabei nicht selbst verliert.
Eure Julie,
Die mit dem roten Lippenstift
Kat
• 6 Jahren agoDanke für diesen tollen Beitrag Julchen. 🙂
ich bin wirklich froh über deine Ehrlichkeit, denn es geht mir ganz genauso.
Ich habe Instagram so satt. Wirklich. All diese Instagrammer, die jeden Tag fünf Bilder posten und wenn man fragt, ob sie auch einen Blog haben, erntet man verwunderte Blicke.
Mir ist Instagram alleine zu wenig. Und zu flach.
Also bin ich froh, dass ich diesen Beitrag von dir lesen durfte. <3
Wishes, Kat
http://sevenandstories.net
Julie
• 6 Jahren agoIch danke dir, Kathilein 🙂
Mir ist Instagram einfach too much. Irgendwann konnte ich nicht mehr und wollte nicht mehr. Und es tut immer gut, wenn man liest, dass man nicht die Einzige ist, der es so geht.
Ich drück dich!
Gabi
• 6 Jahren agoSehr gut Julie! Manchmal muss man was probieren um es wieder lassen zu können. Ich nutze kein Instagram und manchmal denke ich…muss ich, muss ich???? doch Du bist viel jünger und läßt es bleiben. Also bleibe ich auch bei meiner Entscheidung! Dein Beitrag hat mir geholfen ! Merci! lg. Gabi
Julie
• 6 Jahren agoDanke liebe Gabi!
Nein, du musst definitiv nicht 😉 schön, dass dir mein Beitrag geholfen hat!
LG Julie
Wren
• 6 Jahren agoEin toller Beitrag!
Für mich ist Instagram ein Weg, meinen Blog zu promoten,so dass ich es tatsächlich als Arbeit sehe und vielleicht daher auch leichter abschalten kann, aber ich erkenne klar das Suchtpotential, denn Instagram kann schnell Bestätigung geben, wenn man immer aktuell bleibt natürlich 😉
liebe Grüße
Wren
Julie
• 6 Jahren agoDanke Wren 🙂
Ja, viele Likes auf ein Bild sind wie ein Kick, das kann schon süchtig machen. Aber ich glaube, wenn man es wirklich als Arbeit sieht, ist es sicher leichter, da die Grenze zu ziehen. Gut, dass dir das gelingt!
LG Julie
Tinka Nordlys
• 6 Jahren agoApplaus, wirklich! Als ich meinen Blog gestartet habe und parallel meinen Instagram-Account zu pushen begann, habe ich mich auch unglaublich unter Druck gesetzt. Ich kann mich zwar immer noch nicht völlig davon freimachen, nicht immer wieder verstohlen auf die Herzchen zu spicken, nachdem ich ein Foto hochgeladen habe, aber seit ich mir den selbsterzeugten Druck in einem Blogbeitrag von der Seele geschrieben habe, fühle ich mich befreiter. Seltsam, was diese „Unterhaltungsmedien“ mitunter mit uns anstellen. Wir sollten alle mehr „Back Mirror“ schauen ?
Alles Liebe
Tinka vom Wolkenkuckucksheim
Julie
• 6 Jahren agoDanke liebe Tinka!
Ja, Instagram hat echt ein hohes Suchtpotenzial und jede Sucht birgt gewisse Gefahren. Ich freue mich aber für dich, dass du den Druck ein bisschen loslassen konntest und wünsch dir alles Gute weiterhin!
Alles Liebe,
Julie