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Sozialforschungsprojekt Uni: Der Geiwi-Sowi-Spagat

Jedes halbe Jahr, pünktlich zum Semesterbeginn, kommen bei mir dieselben Gefühle auf. Ich freue mich darauf, meine geliebte Universität wieder von innen zu sehen und nicht mehr nur mit dem Auto daran vorbeizufahren. Ich freue mich auf Vorlesungen (zumindest, bevor ich erkannt habe, wie langweilig sie ist), auf die Uniluft und sogar auf die Prüfungen. Pünktlich zu jedem Semesterbeginn beginne ich aber auch, die Leute und Gepflogenheiten meiner beiden Unis zu studieren und komme nicht umhin, sie stets miteinander zu vergleichen. So ist das wohl, wenn man auf zwei verschiedenen Fakultäten studiert, vor allem, wenn es die Geiwi (Geisteswissenschaften) und die Sowi (Sozial- und Wirtschaftswissenschaften) sind. Ich glaube nämlich kaum, dass zwei Fakultäten sich unähnlicher sein könnten.

Der Dresscode

Ich würde behaupten, dass man jemandem den Studiengang an der Kleidung ansieht, zumindest die Fakultät, auf der er studiert. Nicht nur ich behaupte das, da gibt’s zahlreiche Artikel darüber. In einem davon gab es sogar mal ein Ranking. Dieses setzte die Wirtschaftswissenschaftler auf Platz 1 der am besten angezogenen Studenten, die Geisteswissenschaftler landeten auf dem letzten Platz. Und wenn man, so wie ich, fast jeden Tag beide Sorten vor Augen hat, weiß man: Ganz ungerechtfertigt sind diese Platzierungen nicht.
Auf der Sowi herrscht ein genauer Dresscode und der Weg ins Gebäude hinein fungiert als Laufsteg, wo alle, die nicht gewisse modische Standards erfüllen, gnadenlos mit abwertenden Blicken abgestraft werden. Die Sowi ist der Ort der Kaschmirpullover, Burberry-Schals und italienischen Lederschuhe. Außerdem kommen die Studenten gerne mal im Anzug zum Seminar, wenn sie eine Präsentation halten müssen, wo eh niemand zuhört. Außer mir natürlich. Während ich über ihre Outfits lache.
Währenddessen herrscht auf der Geiwi kleidungstechnische Anarchie. Nirgendwo in Innsbruck findet man eine dermaßen hohe Kapuzensweatshirt-, Jutebeutel- und Birkenstockdichte. Blöd angeschaut wird hier niemand für seine Kleidung – es sei denn, man ist angezogen wie jemand von der Sowi – wo man mit Birkenstocks im Übrigen nicht mal rein dürfte.

Die Anmeldung zu Lehrveranstaltungen

Auf der Geiwi studiert man, um einen Abschluss zu bekommen. Auf der Sowi braucht man fast schon einen Uniabschluss, um sich überhaupt für Lehrveranstaltungen anmelden zu können. Während auf allen anderen Fakultäten ganz simpel nach dem „First Come, first serve“ Prinzip gearbeitet wird (weshalb jedes Jahr wieder das System zusammenbricht), hat die Sowi ein eigenes Anmeldesystem erfunden, das zu Beginn niemand checkt. Man setzt Punkte auf Seminare und Vorlesungen und der Höchstbietende gewinnt. Vereinfacht gesagt. Schließlich muss man noch Präferenzen angeben und was weiß ich was noch. Dabei auf Anhieb alles zu bekommen, wofür man sich interessiert, ist ungefähr so wahrscheinlich wie ein Lotto-Sechser. Dafür sparen wir uns die Vorlesungen zum Thema Auktionen.

Das erste Treffen

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Man kommt in einen vollen Seminarraum. Eine typische Alltagsszene, wenn man Student ist, nur gestaltet sich das Drumherum je nach Ort des Geschehens anders.
Auf der Geiwi wird man nett angelächelt. Wenn man sich neben jemanden hinsetzt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man gleich in ein Gespräch verwickelt wird, in dem man Name, Alter, Semester und die halbe Lebensgeschichte seines Gegenübers erfährt.
Auf der Sowi… Naja. Man sollte einen unsichtbaren Schutzschild tragen, der die tötenden Blicke abwehrt. Sowistudenten sind Meister des Resting Bitch Faces, sowohl Jungs als auch Mädels haben es drauf. Man wird sofort abgecheckt und wahrscheinlich auch be- und verurteilt. Dafür muss man sich mit niemandem unterhalten. Wie auch, schließlich ist man stets bemüht, mindestens einen Platz Sicherheitsabstand zu den anderen einzuhalten.

Das Gruppenverhalten

Jeder kennt sie. Manche lieben sie, andere (unter anderem auch ich) mögen sie ungefähr so gerne wie Genitalherpes: Gruppenarbeiten. Wobei ich den Herpes da noch vorziehe. Über den muss man zumindest mit niemandem sprechen. Ja, ich gebe es zu, ich bin ein von Grund auf äußerst selektiv sozialer Mensch und es ist schwer, mir nicht auf die Eierstöcke zu gehen – an dieser Stelle ein großes Kompliment an meinen Freund, der mich schon seit langer Zeit NICHT nervt. Besonders allergisch bin ich in diesem Zusammenhang gegen Kinder, in Zeitlupe gehende Mitmenschen und doofe Nüsse. Mit letzteren landet man leider so ziemlich immer in derselben Gruppe. Wie reagiert man nun auf die Situation, mit anderen Menschen zusammenarbeiten zu müssen?

Nun, auf der Geiwi mag man soziale Interaktion. Zumindest tut man so. Gruppen finden sich hier in der Regel relativ schnell, weil sich die meisten entweder kennen, oder sich mit ihren nächsten Nachbarn zufrieden geben. Und es geht auch immer recht freundlich zu. Hier wird nicht gefragt: „Hey, kannst du das übernehmen?“, sondern „Soll ich das und das machen?“ – und im Endeffekt einigt man sich trotzdem nicht so schnell auf eine Aufgabenverteilung, sondern ist bemüht, alles möglichst gerecht zu verteilen und den anderen nicht so viele Umstände zu machen. Kritik wird freundlich bis gar nicht geübt, meist heißt es: „Ich finde es ganz toll, was du da gesagt hast. Aber das, wo du den einen Typen da erwähnt hast, hat mir ganz besonders gut gefallen.“

Auf der Sowi sieht’s wieder ganz anders aus. Hier scheint jeder eine Abneigung gegen Gruppenarbeiten zu haben und man zeigt sie auch ganz offen. Genauso wie die Abneigung gegen die Gruppenpartner. Hier werden schon mal die Augen verdreht oder genervte Seufzer losgelassen. Die Freundlichkeit, die einem auf der Geiwi entgegenschlägt, ist hier in deutlich abgeschwächtem Ausmaß vorhanden. Es dauert lange, bis sich Gruppen formieren, weil man eh niemanden mag und sich erst gründlich überlegen muss, wer von diesen Fremden die kleinste Dumpfbacke oder zumindest die mit der größten Arbeitsbereitschaft ist. Wenn man freundlich nachfragt, ob man eine Gruppe gründen will, kriegt man meist ein Achselzucken als Antwort, manchmal bekommt man sogar ein angedeutetes Nicken. Aufs Nummern austauschen wird meist verzichtet, man will sich ja nicht anfreunden.

Fazit

Ihr seht, es ist immer wieder ein Spagat, den man hinlegen muss, wenn man auf zwei so unterschiedlichen Fakultäten studiert. Vor allem ist es jeden Morgen eine Überlegung, was man anziehen soll, wenn man an beiden Orten Seminare hat – irgendwo ist man immer over- oder underdressed. Wo ich lieber bin, kann ich nicht sagen, ich tendiere allerdings, was manche in Anbetracht des Artikels überraschen mag, zur Sowi. Klar, die Menschen auf der Geiwi sind tendenziell die angenehmere Gesellschaft (abgesehen von meinem Freund und meiner besten Freundin, die ich beide auf der Sowi kennengelernt habe), aber mit denen auf der Sowi kann ich mich besser identifizieren. Im Gegensatz zu dem, was viele Leute fälschlicherweise von mir denken, bin ich nämlich kein von Grund auf freundlicher Mensch – ich wurde nur dazu erzogen, zu jedem Arsch nett zu sein. Auf der Sowi kann ich meine leichte Misanthropie besser ausleben, deshalb begegne ich dem nahenden Abschluss meines Wirtschaftsstudiums nicht nur mit einem lachenden, sondern auch mit einem weinenden Auge.

Eure Julie,

Die mit dem roten Lippenstift

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10 Comments

  1. Lisa
    7 Jahren ago

    Hahaha.. han grad so lachen müssen! Hier ist es eher so: ich kam brav pinteresty college style angetanzt, nur um festzustellen, dass eh alle in jogginghose rumrennen, und bei gruppenarbeiten läuft es so ab, dass die meisten sagen: „mach du dass, du bist Deutsche und hast die deutsche genauigkeit und pünktlichkeit“ (warum die österreich und deutschland immer noch nicht auseinander halten…)

    Reply
    1. diemitdemrotenlippenstift
      7 Jahren ago

      Ogott und die wissen nicht, dass Österreicher die Deutschen nicht mögen und dass die beiden Nationen sich mal so gar nicht gleichen 😀 ich hoffe, du konntest das aufklären 😀

      Reply
      1. Lisa
        7 Jahren ago

        Ja ich verdreh nur die Augeb, sollen sie denken was sie wollen… solang sie nicht fragen ob Känguruhs durch meinen Garten hüpfen haha

        Reply
        1. diemitdemrotenlippenstift
          7 Jahren ago

          Ich sag da immer „No Kangaroos, only Kuhlimuhs“ 😉

          Reply
  2. lophornia
    7 Jahren ago

    Unsoziale Sozialwissenschaftler. Ob das eine Voraussetzung ist, um Soziales besser analysieren zu können, weil man es von außen betrachtet als als Unbeteiligter? ;D

    Reply
    1. diemitdemrotenlippenstift
      7 Jahren ago

      Interessante Theorie 😀

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  3. Vivien
    7 Jahren ago

    Ich habe zwar keine persönlichen Erfahrungen was das Thema angeht, fand es aber trotzdem ein interessantes Thema. Und selbst als Außenstehende, bestätigten sich einige meiner (Vor?)Urteile. Haha
    Allerdings habe ich mir recht schnell gedacht, dass du dich auf der Sowi wohler fühlst… unser Nachrichtenverkehr hat dich wohl enttarnt. 😉

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    1. diemitdemrotenlippenstift
      7 Jahren ago

      Oh ja, Menschenfeinde sind dort recht gut aufgehoben 😀 freut mich, dass du es interessant fandest 🙂

      Reply
  4. 7 Semester Studium - Wie sich ein Leben ändern kann
    7 Jahren ago

    […] schräg fanden. Ich war die, die immer durch den Hintereingang rein ist, weil sie die Blicke am Sowi-Laufsteg nicht ausgehalten hat. Ich war die, die immer lieber auf der Geiwi sein wollte, weil die Leute dort […]

    Reply
  5. Studententypen und wie man sie erkennt - diemitdemrotenlippenstift
    7 Jahren ago

    […] darf natürlich nicht verallgemeinern, da unter den Geiwi-Studenten bisher auch alle anderen Studententypen zu finden sind (abgesehen von Justus und Justizia), aber […]

    Reply

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