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Wien vs. Innsbruck – ein erstes Fazit

Eine Woche ist mein Umzug nach Wien jetzt her – und diesen Post tippe ich, während ich auf dem Balkon in Innsbruck sitze und auf die Tiroler Berglandschaft schaue, die ich eigentlich verlassen wollte. Nein, das hat nichts mit plötzlich auftauchender Heimatliebe zu tun, sondern mit dem gestrigen Geburtstag meiner Mama – sie ist übrigens 28 geworden, wenn ihr jemand gratulieren möchte. Dennoch habe ich mich dazu entschieden, noch ein wenig zu bleiben und Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Und da letztere wiederum 90 Prozent ihres Tages in der Arbeit verbringt, habe ich genügend Zeit, um ein erstes Fazit zu ziehen.

Die Wohnsituation

In Innsbruck wohne ich im Dachgeschoss des höchsten Hauses in der Gegend. Wenn ich auf dem Balkon stehe, kann ich einen Ententanz tanzen, mich in komischen Yogapositionen verrenken oder einfach nur die Nachbarn beobachten – und niemand sieht mich dabei. Ich habe hier ein schönes Gefühl des Unbeobachtet-Seins, das ich wirklich sehr genieße. Außerdem bin ich fast den ganzen Tag allein, habe keine direkten Nachbarn und der ältere Herr unter uns ist fast nie da, was für mich bedeutet, dass nichts dagegen spricht, den ganzen Tag Lieder von Taylor Swift in ohrenbetäubender Lautstärke zu trällern.

In Wien muss ich auf diesen Luxus leider verzichten, denn ich habe Mitbewohnerinnen und auch, wenn sich der Schall im Altbau überraschen stark verliert, möchte ich mir doch nicht die Blöße geben, bei einem zufälligen Treffen beim Wasserkocher auf meine wunderschöne Gesangseinlage angesprochen zu werden. Außerdem habe ich letztens beim Schlafengehen festgestellt, dass die Wiener wirklich alles ans Fenster hängen. Ich habe den Schock meines Lebens bekommen, weil ich dachte, jemand will sich aus dem Fenster stürzen – um dann bei genauerem Hinsehen festzustellen, dass es doch nur eine Jacke war.

Der Dialekt

„Heast oida, schleich di, du Beidl, du Gschissana!“ Hach, welche Wohltat für meine Ohren! Ich weiß, ich stehe mit dieser Meinung absolut alleine da, aber ich liebe den Wiener Dialekt – eine Aussage, die oftmals mit ungläubigem Starren quittiert wird. Ein guter Freund, ebenfalls Wiener, hat auch nur die Augenbraue hochgezogen und gesagt: „Oida, erzähl keinen Scheiß, nicht mal die Wiener mögen den Wiener Dialekt.“ Aber doch, ich mag ihn. Vor allem nach Jahren, in denen ich das Tiroler K sowie das Wort „zach“ ertragen musste, das die Tiroler wirklich in jeder möglichen Situation verwenden, ist der Wiener Dialekt für mich eine absolut willkommene Abwechslung. Dafür nehme ich es auch gerne in Kauf, dass ich schöne Dinge in Zukunft als „leiwand“ bezeichnen und die Vokale ein bisschen mehr in die Länge ziehen muss.

Das Rolltreppen-Verhalten

Man weiß etwas erst zu schätzen, wenn man es nicht mehr hat. Dieser Spruch trifft vor allem auf Klopapier und eine freie Nase zu, aber auch auf gesittetes Verhalten auf der Rolltreppe. „Rechts stehen, links gehen“ ist eigentlich eine einfache Regel. Die Wiener halten sich da auch daran. Und wenn es jemand nicht tut, hat er sich eben gerade als Ausländer geoutet – oder eben als Innsbrucker. Denn wenn es etwas gibt, das die Innsbrucker absolut nicht können, dann ist es eine Rolltreppe benutzen. In Innsbruck gibt es ungefähr so viele Rolltreppen wie Menschen, die nicht Skifahren – also ungefähr fünf. Daher weiß man bei den Innsbruckern auch nie, ob sie auf eine Rolltreppe steigen wollen, oder ob sie sich darauf vorbereiten, auf einen fahrenden Zug zu springen, sie überlegen ähnlich lang.

Hat man es einmal auf eine der gefühlt fünf Rolltreppen Innsbrucks geschafft, herrscht dort absolute Anarchie. Da steht jeder wie er will, bevorzugt nebeneinander oder am Fuß der Rolltreppe. Ob man jemandem dabei den Weg versperrt, der gerne vorbeiwill, ist dem durchschnittlichen Innsbrucker absolut wurscht, denn „mia san do in die Berg, do hot ma koan Stress nit!“ Äh, doch, ich bin hier am Bahnhof und würde meinen Zug ungern deinetwegen verpassen, also schleich di bitte auf die rechte Seite!

Wien ist anders

Gustav Mahler hat einmal gesagt: „Wenn die Welt einmal untergehen sollte, ziehe ich nach Wien,
denn dort passiert alles fünfzig Jahre später.“

Wie wahr das ist, durfte ich auch schon erleben. Nicht nur, dass Wien im Gegensatz zu allen anderen Großstädten dieser Welt auf unmenschlichen Öffnungszeiten der Geschäfte besteht und sich weigert, am Sonntag viel mehr Lebensmittelgeschäfte als den Billa am Praterstern geöffnet zu lassen. Nein, das Wiener Traditionsbewusstsein geht noch etwas weiter. So haben wir zum Beispiel immer noch einen Studentenausweis aus Papier (!) und wenn man irgendwo parkt, kann man nicht einfach ein paar Münzen in einen Parkautomaten schmeißen, sondern muss sich in der Trafik einen Parkschein holen. Und ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, ob ich das amüsant, zurückgeblieben oder doch irgendwie ganz charmant finde.

Ja, der erste alleinige Umzug meines Lebens ist überstanden und so ganz habe ich es noch immer nicht realisiert, dass ich jetzt offiziell Wahlwienerin bin. Auch, wenn ich meine Familie und das Auto sicherlich vermissen werde, freue ich mich auf das, was noch kommt und auf eine coole Zeit mit lieben Menschen in der Hauptstadt. Und das Beste am Ausziehen: Man weiß danach noch viel mehr, was man an seinem Zuhause hat.

Eure Julie,

Die mit dem roten Lippenstift

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Posted on 2. September 2017

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7 Comments

  1. Larissa
    6 Jahren ago

    Schöner Beitrag, fahre jedes Jahr nach Wien und hin und wieder mal nach Innsbruck. Bin aber Frankfurterin..aber im Herzen dann doch Wahl-Wienerin <3

    LG Larissa

    Reply
    1. Julie
      6 Jahren ago

      Dankeschön! Ich verstehe dich. Wien ist einfach wunderbar <3
      LG Julie

      Reply
  2. Vroni
    6 Jahren ago

    Liebe Julie,
    Dein Vergleich zwischen Wien und Innsbruck ist absolut köstlich! Besonders der Kommentar deines guten Freundes hat mich zum Schmunzeln gebracht – ich mag den Wiener Dialekt nämlich ebenso wenig. Den Tiroler Dialekt hingegen finde ich einfach extrem herzig. 😀
    Ich wünsche dir weiterhin viel Freude in deinem neuen Zuhause und hoffe, dass wir uns wie besprochen einmal in Wien über den Weg laufen! 😉
    Alles Liebe,
    Vroni <3

    Reply
    1. Julie
      6 Jahren ago

      Danke liebe Vroni <3
      Hahaha so unterschiedlich sind die Vorlieben bei den Dialekten 😀
      Ich hoffe auch! Sonst können wir uns gern mal zusammenschreiben und was ausmachen, damit wir das nicht dem Zufall überlassen müssen 😉
      Alles Liebe zurück!

      Reply
      1. Vroni
        6 Jahren ago

        Bitteschön, immer gerne! <3
        Haha oh ja, das stimmt. 😀
        Maaah, zusammenschreiben wäre wirklich sehr fein! Dann machen wir's so! 😉
        Alles Liebe!

        Reply
  3. valarauco
    6 Jahren ago

    Hallo Julie,

    du bist definitiv nicht die einzige, die den Wiener Dialekt liebt! Vor ein paar Jahren habe ich eine gute Freundin kennengelernt, die aus Wien kommt und ich könnte ihr nicht nur stundenlang zu hören, sondern liebe es auch, sie besuchen zu kommen und dort einfach den Leuten zuzuhören. Der Wiener Dialekt klingt einfach toll!

    Genau so toll lesen sich deine Beiträge ^^ Ich klicke mich gerade rückwärts durch und muss sehr oft zustimmend nicken! Du hast einen echt tollen Stil und ich lese gerade die Mimimi-Beiträge sehr gerne!

    Liebe Grüße,
    Marion

    Reply
    1. Julie
      6 Jahren ago

      Hey liebe Marion,
      Das freut mich aber, dass es noch andere gibt, die meinen geliebten Wiener Dialekt nicht verachten 😀
      Und noch mehr freut es mich, dass du auch meine Beiträge gerne liest! Ich hoffe, ich kann dich auch in Zukunft überzeugen 🙂

      Liebe Grüße,
      Julie

      Reply

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